Sexsomnie: wenn es im Schlaf ungewollt zu sexuellen Handlungen kommt

Veröffentlicht am 5. Januar 2024 und aktualisiert am 20. November 2025 von Louise Paitel
Sexsomnie: wenn es im Schlaf ungewollt zu sexuellen Handlungen kommt

Sexsomnie ist eine etwas bizarre Schlafstörung, die das Leben eines Paares zutiefst beeinträchtigen kann. Sie glauben, davon betroffen zu sein? In diesem Artikel erfahren Sie alles Wissenswerte über diese seltene Erkrankung und wie Sie damit umgehen können.

Sexsomnie ist ein ebenso faszinierendes wie verwirrendes Phänomen, bei dem es während des Schlafs zu sexuell konnotierten Verhaltensweisen kommt, ohne dass man sich beim Aufwachen dessen bewusst ist oder sich daran erinnert. Diese Verhaltensweisen, die manchmal als ungewöhnlich empfunden werden, können erhebliche Auswirkungen haben, sowohl auf die psychische Gesundheit, das Beziehungsleben als auch in medizinisch-rechtlicher Hinsicht.

Für eine Diagnose und gezielte Behandlung dieser Erkrankung ist ein besseres Verständnis der Schlafstörung sowohl durch medizinische Fachkräfte als auch durch die breite Öffentlichkeit unerlässlich. Ziel ist, die Risiken für Sexsomnie-Patienten und ihr direktes Umfeld zu begrenzen.

Entdeckung und Klassifizierung

Sexsomnie wurde erstmals 1996 beschrieben (Shapiro et al., 1996) und ist nach wie vor eine wenig bekannte und weitgehend unterdiagnostizierte Störung (Pirzada et al., 2019). Der genaue Begriff „Sexsomnie” wurde 2003 von Shapiro et al. nach der Beobachtung von elf klinischen Fällen vorgeschlagen. Diese Störung wird heute in den internationalen Klassifikationen von Schlafstörungen als Parasomnie des nicht-paradoxen Schlafes anerkannt, ebenso wie Schlafwandeln oder Nachtangst (American Academy of Sleep Medicine, 2014).

Was ist Sexsomnie?

Sexsomnie wird als sexuelles Verhalten definiert, das während des Schlafs auftritt, meist in den Phasen des tiefen (nicht-paradoxen) Schlafes, und sich in Handlungen wie Masturbation, Berührungen, versuchtem Geschlechtsverkehr, Stöhnen, erotischen Äußerungen oder spontanen Orgasmen äußert (Pyrgelis et al., 2021). Sexsomnie findet während des Schlafs statt. Die betroffene Person erinnert sich nach dem Aufwachen meist nicht daran, wobei in 90 bis 96 % der Fälle eine vollständige Amnesie berichtet wird (Holoyda et al., 2021; Pirzada et al., 2019).

Prävalenz

Sexsomnie ist nach wie vor eine seltene, aber wahrscheinlich unterschätzte Störung. In der Literatur sind etwas mehr als hundert klinische Fälle veröffentlicht (Pyrgelis et al., 2021). Eine aktuelle norwegische Studie (Pallesen et al., 2025) weist jedoch eine Lebenszeitprävalenz von 10,5 % aus, was über den von Bjorvatn et al. im Jahr 2010 angegebenen 7,4 % liegt, aber unter den von Cankardas und Schenck im Jahr 2021 angegebenen 15,3 %. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung im Laufe des Lebens eine Phase mit Sexsomnie erleben könnte. Die Prävalenz von regelmäßiger Sexsomnie wird auf 6,5 % geschätzt (Pallesen et al., 2025).

Die Störung betrifft häufiger Männer (etwa 75 % der beschriebenen Fälle). Frauen werden wahrscheinlich seltener gemeldet, insbesondere aufgrund des gesellschaftlichen Tabus rund um die weibliche Sexualität. Generell ist es schwierig, die genaue Prävalenz von Sexsomnie zu schätzen, da Scham, die Angst vor Ablehnung oder mögliche rechtliche Konsequenzen Patienten davon abhalten, mit medizinischen Fachkräften darüber zu sprechen (Pirzada et al., 2019).

Klinische Erscheinungsformen

Die Erscheinungsformen von Sexsomnie sind äußerst vielfältig. Sie können von autoerotischen Verhaltensweisen bis hin zu Handlungen gegenüber dem Partner oder der Partnerin reichen. Studien listen hauptsächlich folgende Verhaltensweisen auf:

  • Selbstbefriedigung im Schlaf
  • Versuchter oder vollständiger Geschlechtsverkehr
  • Streicheln oder Berühren des Partners oder der Partnerin
  • Bewegungen des Beckens, sexuelle Laute oder erotische Äußerungen
  • Spontane Orgasmen
  • Erotische Träume (Pyrgelis et al., 2021 ; Pirzada et al., 2019)

Meist tritt Sexsomnie im ersten Drittel der Nacht während des Tiefschlafs auf und dauert in der Regel weniger als 30 Minuten (Holoyda et al., 2021). Es beginnt abrupt, manchmal in Folge von Schnarchen, Schlafapnoe oder Arousals.

Währenddessen kann es sein, dass die schlafende Person wach wirkt: Sie öffnet die Augen, spricht, nimmt Kontakt auf, dabei ist ihr Verhalten automatisch und unbewusst. Am nächsten Tag erinnert sie sich nicht daran. Einige Partner*innen von betroffenen Personen beschreiben ein direkteres und ungehemmteres Verhalten als gewöhnlich, seltener ein aggressives Verhalten, manchmal begleitet von ungewöhnlichen Äußerungen (Holoyda et al., 2021). Danach können Schuldgefühle, Scham, Unverständnis oder Spannungen in der Partnerschaft auftreten, was sogar Trennungen zur Folge haben kann (Pirzada et al., 2019).

Auslösende Faktoren

Wie andere Parasomnien auch entsteht Sexsomnie durch ein unvollständiges Erwachen des Gehirns während des Tiefschlafs: Bestimmte Areale, die mit Bewegung oder Motivation in Verbindung stehen, werden aktiviert, während diejenigen, die für das Bewusstsein zuständig sind, weiterhin schlafen (Schenck et al., 2015).

Die häufigsten Auslöser sind:

  • Schlafmangel und übermäßige Müdigkeit
  • Konsum von Alkohol oder Drogen
  • Atemstörungen während des Schlafs (insbesondere obstruktive Apnoe)
  • bestimmte Psychopharmaka (Antidepressiva, Hypnotika usw.)
  • Reisen oder Arbeitszeiten, die den Tagesrhythmus stören (Jetlag, Nachtarbeit)
  • Parasomnie-Vorgeschichte wie Schlafwandeln, Bruxismus oder Nachtangst, auch wenn 11 % der Patienten mit Sexsomnie keine Anzeichen einer nicht-sexuellen Parasomnie aufweisen, weder aktuell noch in der Vergangenheit (Holoyda et al., 2021).
Auslösende Faktoren

Diagnose

Die Diagnose von Sexsomnie basiert auf:

  • Einem ausführlichen Gespräch mit der betroffenen Person sowie ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin für eine genaue Beschreibung der aufgetretenen Fälle von Sexsomnie, ihrer Häufigkeit und der auslösenden Umstände.
  • Einer neurologischen und psychiatrischen Untersuchung, um nächtliche Epilepsie, eine dissoziative Störung oder eine zugrunde liegende psychiatrische Erkrankung auszuschließen.
  • Einer Schlafuntersuchung mittels Polysomnographie in Verbindung mit einem EEG und einer Videoaufzeichnung der schlafenden Person (Holoyda et al., 2021).

Obwohl die Polysomnographie selten in der Lage ist, Sexsomnie live zu erfassen, kann sie abnormale Arousals in den nicht-paradoxen Schlafphasen aufzeigen, die für Parasomnien charakteristisch sind. Sexsomnie tritt seltener während des paradoxen Schlafes auf, wenn die schlafende Person ihre erotischen Träume nachahmt oder „auslebt“ (Pirzada et al., 2019).

Die Diagnose wird bestätigt, wenn die betroffene Person unter vollständiger Amnesie und Bewusstlosigkeit während der Handlung leidet und das Verhalten nicht vorsätzlich und stereotyp ist und dem von anderen Parasomnien ähnelt (z. B. Somnambulismus).

"Sexsomnie ist kein abnormes Verhalten, sondern eine Schlafstörung, bei der Betroffene im Schlaf sexuelle Verhaltensweisen zeigen können, ohne sich dessen bewusst zu sein oder sich später daran zu erinnern. Wie jede andere medizinische Störung sollte man auch über Sexsomnie ohne Scham sprechen können, sei es in der Beziehung oder im Rahmen einer medizinischen Beratung. Zur Verhinderung und Behandlung können medizinische und therapeutische Unterstützung erforderlich sein." - Louise PAITEL, Psychologin, Sexualwissenschaftlerin und Forscherin an der Universität Côte d’Azur in Nizza (Frankreich). -

Behandlung und Therapien

Die Behandlung von Sexsomnie umfasst Aufklärung, Schlafhygiene, Verhaltenstherapie und medikamentöse Therapie. Die ersten Schritte sind:

  • Den Schlaf optimieren (regelmäßige Schlafenszeiten, Schlafmangel vermeiden)
  • Alkohol, Schlaftabletten und Drogen vermeiden
  • Stress, geistige und körperliche Erschöpfung reduzieren
  • Begleitende Schlafstörungen behandeln (Apnoe, Bruxismus, Restless-Legs-Syndrom usw.)
  • Partnerin bzw. Partner darüber informieren
  • Die nächtliche Umgebung sicher gestalten, z. B. durch getrennte Betten oder das Abschließen des Schlafzimmers, um unbeabsichtigten Kontakt zu vermeiden (Holoyda et al., 2021).

Reicht dies nicht aus, ist Clonazepam das Mittel der Wahl, ein Benzodiazepin, das abends in niedriger Dosierung verabreicht wird und in etwa 86 % der Fälle wirksam ist (Pirzada et al., 2019; Schenck, 2015). Je nach Profil des Patienten oder der Patientin können auch Antidepressiva verschrieben werden, insbesondere bei psychiatrischen Begleiterkrankungen. In anderen Fällen kann die Behandlung der Schlafapnoe ausreichen, um die Sexsomnie zu behandeln (Pirzada et al., 2019).

Eine psychologische Unterstützung ist ebenfalls sehr wichtig. Denn mit Sexsomnie zu leben bedeutet oft, mit Schuldgefühlen, Scham und Stigmatisierung konfrontiert zu sein. Die Betroffenen befürchten möglicherweise, als abartig oder gewalttätig wahrgenommen zu werden, obwohl sie während der Handlungen nicht bei Bewusstsein sind. Ebenso können sie Angst vor neuen, unvorhersehbaren Situationen mit Sexsomnie haben. Die Partner*innen können wiederum Unverständnis, Misstrauen oder Angst empfinden.

In manchen Fällen kann es auch zu einer posttraumatischen Belastungsstörung kommen durch den Schock, den die sexsomnische Person erlebt, die mitten in einer sexuellen Handlung aufwacht, sowie den Schock des Partners oder der Partnerin, die ohne eine vorherige Zustimmung in das Geschehen eingebunden ist. Bei Bedarf ist eine Paarberatung angezeigt, um das Vertrauen wiederherzustellen und die emotionalen und sexuellen Auswirkungen zu besprechen. Eine Studie hat nämlich einen Zusammenhang zwischen Sexsomnie und einer geringeren sexuellen und partnerschaftlichen Zufriedenheit gezeigt (Klein & Houlihan, 2010). Einige betroffene Paare entscheiden sich daher dafür, in separaten, verschlossenen Zimmern zu schlafen, um eben diese Fälle zu vermeiden (Holoyda et al., 2021).

Medizinisch rechtliche Fragen

Einer der heikelsten Aspekte der Sexsomnie betrifft die rechtlichen Auswirkungen. Tatsächlich wurden Personen nach Fällen von Sexsomnie wegen sexueller Nötigung oder Vergewaltigung strafrechtlich verfolgt. Die internationale Rechtsprechung hat in bestimmten Fällen die strafrechtliche Nichtverantwortlichkeit des Angeklagten anerkannt, wenn stichhaltige Beweise (Polysomnographie, Parasomnie in der Vorgeschichte, bekannte Auslöser, Zeugenaussagen von Angehörigen, emotionale Reaktion des Angeklagten) die Unfreiwilligkeit der Tat bestätigten (Ingravallo et al., 2014).

Diese Tabelle aus dem Artikel von Holoyda et al. (2021) enthält einige Punkte, die zu berücksichtigen sind, um das Verhalten eines Sexualstraftäters oder einer Sexualstraftäterin von dem einer sexsomniblen Person zu unterscheiden:

Elemente​
Erklärungen
Bemühungen, das Verhalten zu verbergen
Die Bemühungen, sexuelle Handlungen im Schlaf zu verbergen, zeugen von Wissen oder Bewusstsein über diese Handlungen.
Wiederholte Fälle sexuellen Missbrauchs, nachdem man sich des Verhaltens bewusst geworden war
Eine Person, die sich ernsthaft Gedanken über die Auswirkungen ihres Sexualverhaltens im Schlaf macht, versucht in der Regel, das Risiko eines Rückfalls zu verringern.
Bericht oder Details zur Sexsomnie
Sexsomnie tritt während einer Schlafphase auf, in der die Person in der Regel nicht bei Bewusstsein ist. Eine vollständige oder teilweise Erinnerung an die Ereignisse ist selten.
Neu auftretende Sexsomnie, die sich als isoliertes Parasomnie-Verhalten äußert
90 % der Patienten mit Sexsomnie hatten zuvor nicht-sexuelle Parasomnien. Eine neu auftretende Sexsomnie ohne Vorgeschichte anderer parasomnischer Verhaltensweisen ist fragwürdig.


Fazit

Sexsomnie ist eine noch wenig bekannte Störung, die die Komplexität des Schlafzustands verdeutlicht, in dem Bewusstsein und Verhalten voneinander getrennt sein können. Ein besseres Verständnis von Sexsomnie ermöglicht eine frühzeitige Diagnose sowie eine angemessene medizinische und psychologische Betreuung, die betroffenen Personen hilft, ihre Schuldgefühle abzubauen. Gleichzeitig können strafrechtliche Konsequenzen vermieden werden. Der Dialog zwischen Patient*innen, Partner*innen und medizinischen Fachkräften ist nach wie vor der Schlüssel, um das Tabu zu brechen und diese Störung in den richtigen Kontext zu stellen: nämlich den einer Parasomnie und nicht den einer schädlichen oder vorsätzlichen Handlung.

Dieser Artikel wurde von Louise PAITEL verfasst, einer Psychologin und Sexualwissenschaftlerin und Forscherin an der Universität Côte d'Azur in Nizza. Sie unterstützt LOVE AND VIBES bei der Redaktion mit ihrem wissenschaftlichen und wohlwollenden Ansatz der Sexualität.

Literaturangaben

  • ​American Academy of Sleep Medicine. (2014). International classification of sleep disorders (3e éd.). Darien, IL : American Academy of Sleep Medicine.
  • Bjorvatn, B., Grønli, J., & Pallesen, S. (2010). Prevalence of different parasomnias in the general population. Sleep Medicine, 11(10), 1031–1034.
  • Holoyda, B. J., Sorrentino, R. M., Mohebbi, A., Fernando, A. T., & Friedman, S. H. (2021). Forensic evaluation of sexsomnia. Journal of the American Academy of Psychiatry and the Law, 49, 202–210.
  • Ingravallo, F., Poli, F., Gilmore, E. V., Pizza, F., Vignatelli, L., Schenck, C. H., & Plazzi, G. (2014). Sleep-related violence and sexual behavior in sleep: A systematic review of medical-legal case reports. Journal of Clinical Sleep Medicine, 10(8), 927–935.
  • Klein, L. A., & Houlihan, D. (2010). Relationship satisfaction, sexual satisfaction, and sexual problems in sexsomnia. International Journal of Sexual Health, 22(2), 84–90.
  • Pallesen, S., Saxvig, I. W., Waage, S., Schenck, C. H., & Bjorvatn, B. (2025). The prevalence of sexsomnia in a general population sample. Archives of Sexual Behavior. Advance online publication.
  • Pirzada, A. R., Almeneessier, A. S., & BaHammam, A. S. (2019). Abnormal sexual behavior during sleep: Sexsomnia and more. Sleep and Vigilance, 3(1), 1–14.
  • Pyrgelis, E. S., Mavridis, I. N., Wimalachandra, W. S. B., et al. (2021). Sexsomnia: A rare parasomnia with important medicolegal aspects. Sleep and Vigilance, 5, 29–34.
  • Schenck, C. H. (2015). Sexsomnia: Clinical and forensic aspects. In C. H. Schenck, Sleep medicine clinics, 10(3), 425–435.
  • Shapiro, C. M., Fedoroff, J. P., & Trajanovic, N. N. (1996). Sexual behaviour in sleep—a newly described parasomnia. Sleep Research, 25, 367.
  • Shapiro, C. M., Trajanovic, N. N., & Fedoroff, J. P. (2003). Sexsomnia—a new parasomnia? Canadian Journal of Psychiatry, 48(5), 311–317.