Vorarephilie: Wenn man jemanden zum Fressen gern hat

Veröffentlicht am 29. Juli 2025 und aktualisiert am 8. August 2025 von Eric
Vorarephilie: Wenn man jemanden zum Fressen gern hat

​Essen oder Sex? Für alle Vorarephilen verschwimmt diese Grenze zuweilen ein bisschen. Wenn Ihre erotischen Fantasien sich rund um die Idee des Verschlingens oder des Verschlungenwerdens drehen, sind Sie womöglich bereits Teil der faszinierenden und gleichzeitig verstörenden Welt der Vorarephilen. Das LOVE-Team hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt.

​Im Januar 2021 erreicht die Schauspielerkarriere von Armie Hammer ihren bisherigen Tiefpunkt: Der Schauspieler, der vor allem für seine Rollen in The Social Network oder Call Me By Your Name bekannt ist, wird nach einer Reihe von Missbrauchsvorwürfen zur Persona non grata in Hollywood. Was die Boulevardpresse elektrisiert, sind vor allem die Chatverläufe, die in diesem Zusammenhang öffentlich gemacht wurden: In einem davon schreibt er, dass er zu „100 % Kannibale“ sei und vertraut seiner Partnerin an, dass er davon träume, sie „zu essen“. Und das mitten in der #MeToo-Ära, in der es an verstörenden Neuigkeiten nicht mangelt. Dabei schockiert und fasziniert diese Nachricht wegen des Kannibalismus-Aspekts noch mehr als alle anderen.

​Was viele nicht wissen: Hinter dem Wirbel um die Person von Armie Hammer steht tatsächlich eine ganze Community, in der diese Art von Fantasie keine vorübergehende Spinnerei ist. Für diese Menschen geht von der Fantasie des Verschlungenwerdens eine tiefe, obsessive Erregung aus. Sie hat auch einen Namen: Vorarephilie.

​Warum nimmt uns diese extreme Fantasie so gefangen? Was bringt manche Menschen dazu, sich zu wünschen, ihren Partner oder ihre Partnerin zu fressen oder selbst gefressen zu werden - beziehungsweise davon zu träumen? Und vor allem: Ist es ein Kink wie jeder andere - oder eine reale Gefahr? Wir geben einen Überblick.

Was ist Vorarephilie?

​Vorarephilie ist eine Paraphilie (oder eine von der gesellschaftlichen Norm abweichende sexuelle Fantasie), bei der es um die Vorstellung oder den Wunsch geht, etwas zu verschlingen oder selbst verschlungen zu werden. Dies kann verschiedene Formen annehmen: Vorarephile stellen sich zum Beispiel vor, wie sie ein anderes Wesen essen, meist lebendig und komplett, oder fantasieren darüber, selbst verschlungen zu werden. Manche empfinden sexuelle Erregung, wenn sie eine Szene beobachten, in der Menschen verschlungen werden. Andere werden von dem Gedanken der Verschmelzung miteinander angesprochen, also der Vorstellung, sich in einer anderen Person aufzulösen oder einen Körper zu absorbieren, bis man eins ist. Die Inspiration für diese Fantasie stammt zwar aus dem Kannibalismus. Die Vorarephilie ist allerdings eine völlig unwirkliche Version des Kannibalismus, die oft sehr weit von der physischen Realität entfernt ist.

​In Online-Communitys oder in der Fetischszene bezeichnen sich die Anhänger dieses Fetischs einfach als „Vore“. Wie bei vielen Kinks sind die Rollen kodifiziert: Es gibt die „Raubtiere“, die selbst verschlingen; die „Beutetiere“, die sich fressen lassen möchte; und die „Beobachter“, die allein von der Vorstellung begeistert sind, der Szene beizuwohnen, ohne direkt daran teilzunehmen.

Zählt Vorarephilie zu Sadomaso?

​Auf den ersten Blick scheint es ganz klar: Vorarephilie ist eine Form von Sadomasochismus . Schließlich geht es um totale Dominanz, symbolische Zerstörung und sogar um den konkreten Vorgang des Verschlingens. In der Praxis ist die Situation jedoch nicht immer so klar. Bei vielen „Vores“ liegt der Kern der Fantasie nicht im Leiden oder in der Vorstellung von Grausamkeit. Die sexuelle Erregung entsteht nicht durch Schmerzen oder Misshandlung, sondern durch die etwas kuriose und krasse Vorstellung, einen anderen Körper vollständig zu absorbieren oder selbst verschluckt zu werden, bis man nicht mehr existiert.

​Die sexuelle Lust geht also auf die Vorstellung der Vernichtung, der Auslöschung der eigenen Identität, der völligen Auflösung im Anderen zurück - eine Art ultimative Verschmelzung, bei der die Grenze zwischen zwei Wesen verschwindet. Man könnte darin ein verschwommenes Abbild bestimmter Formen der „klassischen“ Sexualität sehen: Die Penetration zum Beispiel stünde demnach symbolisch für die Verschmelzung von zwei Körpern. Genau diesen Gedanken treibt die Vorarephilie auf die Spitze, ohne dass dabei unbedingt Schmerzen oder Gewalt im Spiel sind.

Welche Formen der Vorarephilie gibt es?

​Die vorarephilen Fantasien sind sehr vielfältig. Es gibt eine Vielzahl von Szenarien, Dynamiken und Praktiken, die manchmal wenig mit dem klassischen Bild eines Menschen, der einen anderen durch den Mund verschlingt, zu tun haben. Das „Vore“-Universum ist groß und wird durch Geschichten, Illustrationen und Animationen genährt, die in Online-Communitys geteilt werden und oft an der Grenze zwischen erotischen und unwirklichen Bildern angesiedelt sind.

​Die am weitesten verbreitete Form ist das sogenannte „Soft Vore“, bei dem eine „Beute“ von einem „Raubtier“ lebendig und im Ganzen verschlungen wird, ohne grafische Gewalt oder Blut. In diesem Szenario wird eine Person verschlungen und verbleibt dann unversehrt im Bauch der anderen Person, in einer Art schützender oder warmer Blase. Die Lust kommt dann von der Vorstellung, in einem geschlossenen Raum zu sein, komplett absorbiert zu sein und am Leben gehalten zu werden. Diese „softe“ Version der Fantasie ist jedoch nur eine Facette von vielen anderen.

Es gibt auch zahlreiche andere Vorarephilie-Fantasien, bei denen das Verschlingen nicht mit dem Mund geschieht.

  • Anal Vore: Die „Beute“ wird vom Anus des „Raubtieres“ aufgenommen.

  • Unbirth: Der Körper einer Person wird von der Vagina der anderen Person „empfangen“ - in einer Art Rückkehr zum mütterlichen Körper, was oft mit Regressions- oder Verschmelzungsfantasien verbunden ist.

  • Cock Vore: Die Penetration erfolgt durch den Penis, der oft als elastisch oder vergrößert dargestellt wird - ein Bild, das stark erotisch aufgeladen ist.

  • Breast Vore: Der Körper der „Beute“ wird von den Brüsten des „Raubtiers“ aufgenommen - eine Fantasie, die mit nährenden oder umhüllenden Gedanken spielt.

​Eine weitere, sehr häufig vorkommende Variante des Fetischs ist das Spiel mit den Maßstäben. In diesen „Mikro/Makro“-Fantasien ist einer der Partner winzig klein, der andere riesengroß. Dieser extreme Größenunterschied verstärkt je nach Inszenierung die Vorstellung von Dominanz oder Machtlosigkeit, aber auch von Schutz.

​Alle diese Szenarien haben eines gemeinsam: Sie berufen sich auf Bilder und Vorstellungen, die sehr weit von der Realität entfernt sind, oft unwirklich und faktisch nicht realisierbar sind, aber viel mit dem Körper, der Verschmelzung und dem symbolischen Verschwinden des anderen zu tun haben.

Wie man seine Vorarephilie-Fantasien sicher ausleben kann

Die Vorarephilie im eigentlichen Sinne ist im wirklichen Leben nicht praktikabel, ohne in Gewalt, Illegalität und die Gefährdung anderer zu kippen. Sie ist also ihrem Wesen nach eine Fantasie bzw. ein Szenario, das nur im Kopf stattfindet und manchmal sehr weit gehen kann, aber nicht ohne schwerwiegende Folgen körperlich umgesetzt werden kann.

Wie kann man also diese Fantasie ausleben, ohne die imaginäre rote Linie zu überschreiten? Wie bei vielen Paraphilien funktioniert das nur über das einvernehmliche Rollenspiel, über gemeinsame Bilder, Vorstellungen und Gedanken und den Austausch in Online-Communitys. Viele „Vores“ treffen sich in Foren, auf Discord-Servern oder speziellen Plattformen, wo sie vorurteilsfrei Geschichten, Zeichnungen, Animationen und Szenarien austauschen können. Einige Künstler haben sich sogar darauf spezialisiert, erotische Inhalte rund um die Vorarephilie zu schaffen, die zwischen digitaler Illustration und erotisch-phantastischer Fiktion angesiedelt sind.

​Im wirklichen Leben können Paare oder Partner, die diesen Kink teilen, ihre Fantasien mit symbolischen Szenarien ausleben. Eines der häufigsten Beispiele ist die Zubereitung eines Fleischgerichts (z. B. Schweinefleisch, das oft wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Menschenfleisch ausgewählt wird) und dessen Verzehr in einem verschlüsselten Kontext: Das Essen wird zur „Beute“, das vom „Raubtier“ verschlungen wird. Natürlich findet das alles in einem klaren, einvernehmlichen und fiktiven Rahmen statt.

​Bei anderen entsteht die sexuelle Erregung durch die indirekte Beobachtung. Manche finden Gefallen daran, fleischfressenden Tieren (wie einem Frosch, einem Gecko oder sogar einer fleischfressenden Pflanze wie dem Dionaeus) dabei zuzusehen, wie sie ihre Beute fangen und verschlingen. Der Vorgang selbst ist an sich nicht erotisch, aber manchen reicht der Anblick des Verschlingens schon aus, um die Fantasie anzuregen.

​Wie auch immer diese Fantasie ausgelebt wird, eine Regel ist und bleibt unverhandelbar: Sämtliche Praktiken dürfen nur in einem ausdrücklich einvernehmlichen Rahmen ausgeführt werden. Ohne ein klärendes Gespräch im Vorfeld, klare Grenzen und gegenseitigen Respekt und Vertrauen sollte man sich nicht auf vorarephile Spiele einlassen.

​Die Vorarephilie ist ein Fetisch, der fasziniert und verstört, unter anderem weil er tief sitzende Instinkte anspricht. Obwohl dieser Fetisch eine Randerscheinung bleibt und sich weitgehend in der Fantasie abspielt, existiert er. Wie viele andere Kinks auch, lebt die Vorarephilie von den Gedanken und Bildern in unseren Köpfen und wird durch Rollenspiele, Erzählungen, Kunst oder stark verschlüsselte Szenarien ausgelebt, ohne jemals die Grenze zur Realität zu überschreiten. Und auch wenn die Vorarephilie für Außenstehende extrem erscheint, wird sie von denen, die sie ausleben, nach denselben Prinzipien wie jeder andere Fetisch praktiziert: Freiheit, Einvernehmen und gegenseitiger Respekt.