Unsere Lieblingssexualtherapeutin Louise Paitel schreibt heute über ein faszinierendes und gleichzeitig kontroverses Thema: Sex Dolls. Diese superrealistischen Sexpuppen sind nicht mehr nur ausschließlich als Sexspielzeug zu betrachten, sondern auch als Ersatz für eine Partnerin oder einen Partner im Alltag, als Hilfsmittel für die sexuelle Rehabilitation oder für das Ausleben von Fantasien. Lassen Sie uns gemeinsam die Realität hinter der hübschen Silikonfassade entdecken und herausfinden, was es mit den technologischen Innovationen, den hartnäckigen Vorurteilen und der therapeutischen Nutzung auf sich hat.
Was ist eine Sexpuppe - Definitionen und aktuelle Innovationen
Sexpuppen oder Sex Dolls sind anthropomorphe (menschenähnliche) Objekte, die für die sexuelle Stimulation entwickelt wurden. Im Gegensatz zu klassischen Sextoys liegt ihre Besonderheit in ihrem menschlichen, oft weiblichen Aussehen, ihrer realistischen Textur (Silikon, TPE) und ihrer Fähigkeit, "eine Partnerin oder einen Partner" zu verkörpern, anstatt nur ein Werkzeug zur Befriedigung der Lust zu sein (Döring & Pöschl, 2018). Einige Sexpuppen sind mit Heizmodulen und gelenkigen Gliedmaßen ausgestattet und verfügen sogar über Sprachsysteme oder einfache taktile Reaktionen. So sind Sex Dolls Teil eines Kontinuums, das von aufblasbaren Puppen bis hin zu Sexbots (mechanisierte Sexroboter mit KI) reicht.
Aus psychosozialer Sicht erfüllt die Sexpuppe drei Hauptfunktionen: eine sexuelle (die körperliche Stimulation und den Ersatz für einen menschlichen Partner), eine affektive (die Gesellschaft und emotionale Bindung) und eine symbolische (Projektion von Fantasien und narzisstische Aufwertung) (Langcaster-James & Bentley, 2018).
Wer kauft Sexpuppen - ein Porträt der Nutzerinnen und Nutzer
Eine Studie von Harper et al. (2022) über 293 Männer, die Sex Dolls besitzen, zeigt, dass:
- 72 % sich als heterosexuell definieren
- das Durchschnittsalter bei 38 Jahren liegt, wobei die Mehrheit zwischen 30 und 50 Jahren alt ist
- 55 % ledig und 20 % geschieden sind
- 83 % in Städten leben (Langcaster-James & Bentley, 2018).
Im Allgemeinen stammen die Nutzer aus der Mittelschicht, arbeiten in technischen oder kreativen Bereichen und weisen eine höhere Schulbildung als die Sekundarstufe auf (Harper et al., 2022). Die Zahl der weiblichen Nutzer ist gering (3 - 4 %) (Langcaster-James & Bentley, 2018; Peschka & Raab, 2022) und noch zu wenig erforscht, um ein genaues Profil erstellen zu können.
Warum eine Sex Doll besitzen - die häufigsten Gründe
Es gibt vielfältige Gründe, warum Nutzer eine Sex Doll besitzen:
- Ein sexuelles Vergnügen ohne Zwänge, Risiken und die Gefahr, verurteilt zu werden oder zu versagen
- Der Abbau sozialer Ängste, insbesondere bei sexuellen Interaktionen
- Die emotionale Bindung in einem Kontext von Einsamkeit oder nach einer Trennung
- Das Ausleben von Fantasien, die als unaussprechlich oder unerfüllbar gelten (Döring & Pöschl, 2018)
Manche Nutzer betrachten ihre Sexpuppe auch als Partner oder Partnerin mit einer Geschichte, einem Vornamen oder sogar einer Persönlichkeit. Die Sex Doll wird dann zu einem emotionalen, manchmal ritualisierten Projektionsmedium, um einen Beziehungsmangel zu kompensieren (Langcaster-James & Bentley, 2018).
"Sexpuppen sind eine innovative Alternative für die sexuelle und emotionale Stimulation. Sie helfen dabei, soziale Ängste abzubauen und bieten einen sicheren Raum, um die eigene Sexualität zu entdecken. Um diese Vorteile zu maximieren und die Risiken der Abhängigkeit und des sozialen Rückzugs zu minimieren, ist jedoch die maßvolle Verwendung von Sexpuppen von entscheidender Bedeutung." - Louise PAITEL, Psychologin, Sexualwissenschaftlerin und Forscherin an der Universität Côte d’Azur in Nizza (Frankreich). -
Überraschende Vorteile der Nutzung einer Sexpuppe
Qualitative Studien beschreiben mehrere von den Nutzern wahrgenommene Vorteile:
- Verringerung des mit Leistung, Vergleich oder Beurteilung verbundenen Stresses (Harper et al., 2022): Die Nutzung einer Sexpuppe ermöglicht es, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wiederzuerlangen, was in manchen Fällen als wichtiger Schritt zur Wiederaufnahme menschlicher Beziehungen gelten kann. Einige sprechen daher von der Sex Doll als einem "Werkzeug für die sexuelle Rehabilitation".
- Sexuelle Befriedigung: Da Sex Dolls jederzeit verfügbar sind, bieten sie eine kontinuierliche sexuelle Autonomie, ohne dass ein menschliches Gegenüber benötigt wird. Diese Freiheit kann es ermöglichen, ganz spezifische (BDSM
, Fetischismus usw.) oder sogar illegale Praktiken auszuleben, ohne dass ein Dritter gefährdet oder überredet werden muss (Döring & Pöschl, 2018; Harper & Lievesley, 2022). - Gesellschaft und emotionale Stabilität: Obwohl die Sexpuppe kein lebendiges Wesen ist, berichten einige Nutzer, dass sie in Zeiten der Einsamkeit, insbesondere in Phasen von Trauer oder Angst, emotionale Unterstützung empfinden. Einige Nutzer entwickeln eine starke Bindung zu ihrer Sex Doll und beschreiben sie als liebevolle Partnerin und Vertraute im Alltag (Langcaster-James & Bentley, 2018).
- Selbstdarstellung und Kreativität: Manchmal werden Sex Dolls in künstlerische oder fotografische Rituale eingebunden. Ganze Foren sind der individuellen Gestaltung, dem Kleidungsstil oder der Inszenierung der Dolls gewidmet. Dieser Prozess ist sowohl kreativ als auch identitätsstiftend, auch bei Männern, die sich als asexuell bezeichnen (Döring & Pöschl, 2018). Sex Dolls werden also nicht immer nur für die Sexualität verwendet. In einer in Japan durchgeführten Studie hatten beispielsweise 58 % der befragten Nutzer keinen Sex mit ihrer Sexpuppe und 41 % hatten sie ausschließlich für den fotografischen oder ästhetischen Gebrauch erworben (Aoki & Kimura, 2021).
Die Risiken - Sucht und Ausgrenzung
Verhaltensbezogene Abhängigkeit
Auch wenn der Gebrauch einer Sexpuppe nicht zu 100 % den Kriterien einer Suchterkrankung gemäß DSM-5 (APA, 2013) entspricht, kann er wie bei anderen Verhaltenssüchten auch zwanghaft oder ritualisiert werden, mit Kontrollverlust, erhöhter Nutzungshäufigkeit und zunehmender sozialer Isolation. Die Grenze zwischen einer freiwilligen und erfüllenden Nutzung und einer emotionalen und sexuellen Abhängigkeit ist fließend. Daher ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Nutzung angenehm und maßvoll bleibt und nicht in andere Lebensbereiche eindringt.
Soziale Isolation
Das Hauptrisiko ist nicht die Sexpuppe selbst, sondern der Substitutionseffekt. So kann es dazu kommen, dass der Nutzer eine exklusive Bindung zu seiner/seinen Sexpuppe(n) entwickelt und dass dies auf Kosten der menschlichen Beziehungen geht, die oft falsch eingeschätzt werden und als unberechenbarer oder bedrohlicher wahrgenommen werden als sie tatsächlich sind (Harper et al., 2022). In diesem Kontext verkörpert die Sex Doll zwischen Kontrollfantasien und der Vermeidung von Beziehungen und sozialen Kontakten einen sicheren emotionalen Rückzugsort. Und diese exklusive Bindung kann dazu führen, dass der Nutzer in einer einseitigen Beziehung ohne Gegenseitigkeit und damit ohne Konfrontation mit Andersartigkeit stecken bleibt (Langcaster-James & Bentley, 2018).
Sex Dolls und Klischees: zwischen Vorurteilen und wissenschaftlichen Fakten
Die Community der Sexpuppen-Nutzer hat leider mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Dabei geht es in erster Linie darum, dass Sex Dolls eine entmenschlichte Darstellung der Frau fördern. Einigen Medien oder Forschern zufolge fördert die Sex Doll die Wahrnehmung von Frauen als Objekt, was eine dominante, konsumorientierte und instrumentelle Sichtweise auf das weibliche Geschlecht zur Folge hat (Desbuleux & Fuss, 2023; Richardson & Brilling, 2015). Andere Studien zeigen, dass Sexpuppen-Nutzer nicht mehr frauenfeindliche Züge zeigen als die Allgemeinbevölkerung (Harper et al., 2022). Tatsächlich unterscheiden viele von ihnen sehr klar zwischen sexuellen Fantasien und realen menschlichen Beziehungen, und einige Nutzer berichten sogar von einem respektvolleren Umgang mit Frauen nach dem Gebrauch von Sexpuppen, da dadurch ihre sozialen Ängste oder ihr Frust abgenommen haben (Langcaster-James & Bentley, 2018).
Dennoch werden Sexdolls häufig wegen ihrer stark geschlechtstypischen und sexualisierten Körperdarstellungen kritisiert. Weibliche Modelle verfügen in der Regel über überproportional große Brüste und unwirkliche Größenverhältnisse zwischen Taille und Hüfte, während männliche Modelle oft mit übertrieben großen Muskeln und Penissen ausgestattet sind. Diese Darstellungen können Geschlechterstereotype und unrealistische Schönheitsideale verstärken (Hanson et al., 2024).
Aus dem ersten Vorurteil ergibt sich ein zweites, das auch weit verbreitet ist: Die Nutzer seien sexuell gefährlich oder “abnormal”. Entgegen der vorherrschenden Meinungen weisen Besitzer von Sex Dolls allerdings keine schweren psychopathologischen Züge und keine erhöhte Neigung zu Aggressionen auf. Laut einer Studie haben sie mehr sexuelle Fantasien rund um die sexuelle Nötigung, neigen aber weniger dazu, diese auch tatsächlich in die Tat umzusetzen, als Menschen, die keine Sex Doll besitzen. Tatsächlich berichten einige Nutzer von einer Verringerung ihrer Aggressivität und ihres Stresses, was darauf hindeutet, dass Sex Dolls einen sicheren Raum bieten, um bestimmte sexuelle Wünsche oder Fantasien auszuleben (Harper et al., 2022), insbesondere die, die illegal sind (Harper & Lievesley, 2022).
Das dritte Vorurteil lautet, dass die Nutzer sozial unangepasst sind oder zurückgezogen leben. Nun lebt zwar ein Teil der Sexpuppen-Besitzer allein oder ist sozial isoliert (49 % laut Langcaster-James & Bentley, 2018). Das bedeutet jedoch nicht, dass sie komplett sozial zurückgezogen leben. Tatsächlich sind in den Nutzer-Foren eine starke Solidarität untereinander sowie regelmäßige Interaktionen und eine aktive gemeinschaftliche Organisation festzustellen. Die Foren bieten einen wohlwollenden Raum, in dem die Nutzer Erfahrungen, Tipps und Zuspruch austauschen können, um die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Nutzung von Sex Dolls zu bewältigen. Das Bedürfnis nach menschlicher Bindung ist zudem nach wie vor vorhanden: Einige Nutzer sehen ihre Sexpuppe nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu ihrem Sozialleben (Döring & Pöschl, 2018).
Love Dolls als therapeutisches Werkzeug: Potenzial und Grenzen
Die Medizin beginnt, das therapeutische Potenzial von Sex Dolls für bestimmte Patientengruppen zu erforschen. Für Menschen, die unter Einsamkeit, Angststörungen oder Beziehungsproblemen leiden, könnten Sex Dolls zum Beispiel emotionale Unterstützung bieten. Auch nach traumatischen Erfahrungen können Sexpuppen ein gutes Hilfsmittel sein, insbesondere wenn die Nutzung im Rahmen einer therapeutischen Behandlung stattfindet (Knafo, 2015).
So könnten Sex Dolls als Hilfsmittel zur sexuellen Rehabilitation eingesetzt werden, die dem Einzelnen helfen können, an Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl zu gewinnen (Langcaster-James & Bentley, 2018). Auch bei der Bewältigung von Traumata könnten Sex Dolls mit in die Therapievorschläge aufgenommen werden, wobei die Nutzung der Sex Dolls eine strenge Anleitung erfordert, um die Gefahr einer Abhängigkeit oder der sozialen Isolation zu vermeiden.
Sex und was noch? Das Konzept Allodoll
Der Begriff Allodoll wurde von Forschern entwickelt, um eine Beziehung zu beschreiben, die über die sexuelle Nutzung der Sexpuppen hinausgeht. Dabei handelt es sich um eine soziale Nutzung, eine Form der emotionalen Bindung, bei der die Sexpuppe als vollwertige Partnerin wahrgenommen wird, die eine emotionale Unterstützung und eine beruhigende Präsenz bieten kann. Dieses Konzept erweitert das traditionelle Bild von Sex Dolls als bloße Sexobjekte und erkennt ihr emotionales und soziales Potenzial an. Tatsächlich entwickeln die Nutzer oft tägliche Routinen mit ihren Sexpuppen, wie Fernsehen oder gemeinsame Mahlzeiten, was das Gefühl von Gesellschaft stärkt und Einsamkeit lindert (Langcaster-James & Bentley, 2018).
Fazit: Auf dem Weg zu einer differenzierteren Sicht auf realistische Sexpuppen
Fern von verzerrten Darstellungen oder medienwirksamen Fantasien geht es bei der Nutzung von Sexpuppen um komplexe Dynamiken zwischen Intimität, Sicherheitsbedürfnis, Kontrollwunsch und erotischen Erkundungen. Die verfügbaren Daten zeigen, dass Sexpuppen für bestimmte Personen eine reparierende, belohnende und sogar stabilisierende Funktion haben können, insbesondere in Phasen des sexuellen und emotionalen Leids. Gleichzeitig ist die Gefahr der Abhängigkeit, des sozialen Rückzugs und der sozialen Isolation allgegenwärtig.
Für die Medizin geht es darum, die Sexpuppen-Nutzung als Hinweis oder Werkzeug zu verstehen, das mit dem Lebensweg und den physischen und psychischen Bedürfnissen des Patienten in Zusammenhang steht. Dabei ist es wichtig, faktenbasiert und nicht wertend darüber zu sprechen, damit sich jeder in seiner Sexualität verstanden und respektiert fühlt.
Dieser Artikel wurde von
Louise PAITEL
verfasst, einer Psychologin und Sexualwissenschaftlerin und Forscherin an der Universität Côte d'Azur in Nizza. Sie unterstützt LOVE AND VIBES bei der Redaktion mit ihrem wissenschaftlichen und wohlwollenden Ansatz der Sexualität.
Literaturangaben
- American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed.). Washington, DC: Author.
- Aoki, B. Y., & Kimura, T. (2021). Sexuality and affection in the time of technological innovation: Artificial partners in the Japanese context. Religions, 12(5), 296.
- Desbuleux, J. C., & Fuss, J. (2023). Is the anthropomorphization of sex dolls associated with objectification and hostility toward women? A mixed method study among doll users. Journal of Sex Research, 60(2), 206–220.
- Döring, N., & Pöschl, S. (2018). Sex toys, sex dolls, sex robots: Our under-researched bed fellows. Sexologies, 27(3), 133–138.
- Hanson, K. R., Döring, N., & Walter, R. (2024). Sex doll specifications versus human body characteristics. Archives of Sexual Behavior, 53(6), 2025–2033.
- Harper, C. A., Lievesley, R., & Wanless, K. (2022). Exploring the psychological characteristics and risk-related cognitions of individuals who own sex dolls. The Journal of Sex Research, 60(2), 190–205.
- Harper, C. A., & Lievesley, R. (2022). Exploring the ownership of child-like sex dolls. Archives of Sexual Behavior, 51(8), 4141-4156.
- Knafo, D. (2015). Guys and dolls: Relational life in the technological era. Psychoanalytic Dialogues, 25(4), 481–502.
- Langcaster-James, M., & Bentley, G. R. (2018). Beyond the sex doll: Post-human companionship and the rise of the ‘allodoll’. International Journal of Social Robotics, 10(1), 121–130.
- Peschka, L., & Raab, M. (2022). A thing like a human? A mixed-methods study on sex doll usage. International Journal of Sexual Health, 34(4), 728–746.
- Richardson, K., & Brilling, J. (2015). The campaign against sex robots. Retrieved from https://campaignagainstsexrobots.org